Dunkel und karg war der Raum und unendlich dunkel war auch die Zeit, um die es ging: Bei der Szenischen Lesung mit dem schlichten Titel „Überleben“ am 20. September 2015 liehen zehn Schülerinnen und Schüler des Johanneums bekannten und weniger bekannten Menschen die Stimme, die über ihre Erfahrungen mit dem Holocaust geschrieben hatten. Sie vertrauten dabei ganz auf die Kraft des Wortes – mit großem Erfolg, wie der langanhaltende Applaus des tief berührten Publikums bewies.
Die vier Meter dicken Betonmauern des Resonanzraums im Bunker an der Feldstraße gaben dafür einen eindrucksvollen Rahmen ab. Auf dramatische Effekte, ja sogar weitgehend auf Requisiten hatten die Vortragenden in dieser Kulisse bewusst verzichtet. Umso gewaltiger und eindrucksvoller waren wohl die Bilder, die in den Köpfen der Zuschauer entstanden, wenn beispielsweise Margot Friedländer über ihren Verlust einer jüdischen Identität und den Wiedergewinn derselben nach dem Verrat durch jüdische SS-Spitzel berichtete. Oder wenn die Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Ruth Klüger ganz nüchtern und klarsichtig schilderte, wie die Zeit im Konzentrationslager ihr, die sie aus einer brüchigen Familie stamme, dennoch ein Stück emotionales Wachstum erlaubte – und dabei dennoch jene scheinbar allgemeingültige Formel von der „Läuterung durch Leid“ verspottete.
Wie beeinflussen die Erfahrungen aus dem Untergrund und in den Lagern die Identität der Überlebenden? Das war eine der zentralen Fragen, die sich die angehenden Abiturienten unter der Leitung von Christine von Müller gestellt hatten. In Zusammenarbeit mit der Elsbeth-Weichmann-Gesellschaft e.V. war so bereits zum zweiten Mal eine Produktion des Johanneums auf die Bühne gebracht worden, die sich dem Motto „Wider das Vergessen“ verschrieben hatte.
Die Schülerinnen und Schüler hatte sich durch die Texte der Zeitzeugen gearbeitet, hatten ausgehend von deren besonderen Schicksal oder ihrer beeindruckenden schriftstellerischen Tätigkeit geforscht und die Passagen, die sie besonders beeindruckten, zu einer in sich stimmigen Komposition neu arrangiert. Man spürte, dass sie selbst angesprochen waren, als sie die Texte von Primo Levi und Hannah Arendt, Anita Lasker-Wallfisch und Nelly Sachs, Inge Auerbacher und Leo Straus auf die Bühne brachten.
Besonders unter die Haut gingen so auch die Erinnerungen des italienischen Schriftstellers Primo Levi, der einen dreijährigen, gelähmten Jungen aus seiner Lagerzeit beschrieb und ihm, der nach der Befreiung verstarb, damit ein Denkmal setzen wollte - um zu bezeugen, dass auch er gelebt habe, so wenig ihm die Herrschenden dieses auch zugestehen wollten. Das Unrecht sichtbar zu machen und Zeugnis abzulegen über das Unsagbare war für viele der Porträtierten ein Grund weiter zu leben, nicht aufzugeben, eine Quelle, aus der sie Kraft schöpften.
Diesen Gedanken haben die Schülerinnen und Schüler eindringlich fortgeführt. Mit ihrem Engagement, mit ihrem Angerührtsein und ihrer berührenden Inszenierung haben sie mit den Stimmen von Autoren, die zum Zeitpunkt des Erlebens etwa so alt waren wie sie selbst, eine Brücke ins Heute geschlagen. Ein unverzichtbarer Verdienst in einer Zeit, in der die Zeitzeugen der NS-Zeit immer weniger werden.