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Lateinunterricht nützt, davon sind wir am Johanneum seit jeher überzeugt. Dass er aber auch und ganz besonders sinnvoll ist für Kinder, deren Herkunftssprache nicht Deutsch ist, konnte Stefan Kipf in seinem Vortrag „Lateinunterricht und Sprachbildung“ auf Einladung des Arbeitskreises „Die Römer“ am 14. April 2016 eindrucksvoll belegen. Mit seinen Projekten an verschiedenen Partnerschulen in sogenannten Brennpunktvierteln  engagiert sich der Professor für Didaktik der Alten Sprachen von der Humboldt-Universität Berlin seit Jahren dafür, das Fach aus der traditionellen Ecke mitten ins Zentrum der aktuellen didaktischen Diskussion zu rücken.

Latein, das sei doch nur etwas für höhere Stände, für Kinder aus bildungsnahen, bürgerlichen Haushalten. So oder ähnlich ist es oft zu hören, wenn in der Bildungspolitik und in der Presse über den Fächerkanon an deutschen Schulen debattiert wird. Dabei offenbart schon ein Blick auf die nackten Zahlen, dass dies nicht oder nicht mehr stimmt. Die Familienstrukturen sind bunt gemischt, je nach Bundesland, Stadt oder Viertel sitzt in den Gymnasialklassen auch eine mal kleinere, mal größere, aber jährlich wachsende Menge Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache. In Berlin sind es beispielsweise aktuell rund ein Viertel aller Gymnasiasten, Tendenz steigend. Von diesen Gymnasiasten lernen dann auch nicht wenige Latein.

Zum Glück, kann man vielleicht sagen, wenn man sich die Ergebnisse der brandneuen (und bundesweit ersten) empirischen Studie anschaut, die Professor Kipf im Johanneum vorstellte. Diese aufwendige zweijährige Forschungsarbeit hatte – knapp zusammengefasst - folgendes Ergebnis: Die Schülerinnen und Schüler, die Latein als zweite Fremdsprache lernen, haben einen signifikant höheren Lern- und Leistungszuwachs in der globalen Sprachkompetenz als die Vergleichsgruppe, die eine andere Fremdsprache gewählt hatte. Und schulischer Erfolg steht und fällt nun einmal mit der Sprachkompetenz, das ist spätestens seit Pisa wohl unumstritten. Was aber hat nun der Lateinunterricht, was andere nicht haben?

Kipf stellte dies ausgehend von den Gegebenheiten an der Partnerschule seines Instituts vor, dem Ernst-Abbe-Gymnasium in Berlin-Neukölln. Mehr als 90 % der Schüler sind hier nichtdeutscher Herkunftssprache. Um dies aufzufangen, setzt die Schule – neben Englisch und Französisch – verstärkt auf Latein. Das kommt an, wie die Zahlen belegen: 67 % der Abiturienten verlassen die Schule mit dem Latinum. Denn die oft als tot verschriene Sprache hat einen entscheidenden Vorteil. Eben weil niemand sie mehr spricht, hat auch keiner Vorkenntnisse, alle starten bei Null. Latein ist also zunächst einmal, wie der Wissenschaftler es formulierte, eine gerechte Sprache.

Darüber hinaus punktet Latein auf vielen Ebenen, und zwar auf solchen, die in der Forschung zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ) schon lange Kriterien für gelingende Sprachvermittlung sind. Es wird über Sprache gesprochen, Grammatikvermittlung findet immer explizit statt, so wächst das Sprachbewusstsein. Der kontrastive Sprachvergleich ist durchgängiges Unterrichtsprinzip, die Unterrichtssprache ist Deutsch, durch die Übersetzungsarbeit werden stetig Texte produziert. Kipf zeigte sich während seines Vortrags immer wieder begeistert über die Parallelen zwischen der Alten Sprache und DaZ, die lange Zeit schlicht nicht gesehen wurden, weil sie kein Forschungsgegenstand waren.

Dabei müsse der Lateinunterricht keineswegs etwas von seinem fachlichen Anspruch aufgeben, betonte der Didaktikexperte. Nein, gerade weil Latein zu lernen manchmal auch hart und schwierig sei, könne es die Schüler weiterbringen. Der Exaktheitsanspruch des Faches sei entscheidend auch für den Erfolg auf dem Gebiet der Sprachbildung.

Ein typisches Phänomen aus dem Bereich der modernen Fremdsprachen kann das illustrieren: Man weiß ein Wort oder eine Wendung nicht, versucht es deshalb zu vermeiden und sucht nach Ersatz in einfacheren Strukturen, die man schon beherrscht. Gerade diese Vermeidungsstrategie funktioniert beim Übersetzen aus dem Lateinischen ins Deutsche nicht: Der Schüler kann sich nicht entziehen, er muss, um dem fachlichen Anspruch zu genügen, eine treffende deutsche Wendung finden.

Klassische Stolpersteine des Deutschen wie zum Beispiel der Gebrauch von bestimmten und unbestimmten Artikeln oder die Verwendung der richtigen Präpositionen können im Lateinunterricht hervorragend thematisiert werden. Das geschieht natürlich auch bisher schon, mal mehr, mal weniger intensiv. Wichtig sei es aber jetzt, so Kipf, die neuen Erkenntnisse gezielt und systematisch auch für den Bereich der Sprachbildung im Fachunterricht zu nutzen, mit neuen Aufgabentypen und sprachsensiblen Lehrwerken. Das gelte auch und besonders in diesen bewegten Zeiten angesichts der vielen Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen und hier eine neue Heimat suchen.

So konnte Professor Kipf an diesem Abend wunderbar zeigen, dass Latein zwar Jahrtausende alt ist, aber durch seine besondere integrative Kraft aktueller denn je. Bleibt zu hoffen, dass diese neue Kraft der Alten Sprache nicht nur an den Universitäten, sondern auch in der zweiten Phase der Lehrerausbildung und in der Bildungspolitik Eingang findet. Dann hat Latein eine ganz neue Chance, sich im bildungspolitischen Diskurs weiterhin zu behaupten.