„Wir kehren die Situation jetzt um und betrachten Griechenland als Geberland!“, leitete am 15. April 2016 Prof. Karl-Wilhelm Weeber seinen Vortrag mit dem Titel „Hellas sei Dank - Was Europa den Griechen schuldet“ ein. So viele Gäste waren der Einladung der Deutsch-Griechischen Gesellschaft gefolgt, dass zusätzliche Stühle aus der Aula in die Ehrenhalle, die von Prof. Weeber bewundernd Heroon genannt wurde, geholt werden mussten. Auch der Generalkonsul von Griechenland war mit seiner Familie gekommen.
„Die Zeiten für Philhellenen sind schlecht“, stellte Prof. Weeber fest und konstatierte, dass heute „den guten alten Griechen häufig die bösen, neuen Griechen gegenübergestellt“ würden, die nach dem Abflauen des allgemeinen Griechenland-Bashings im Zusammenhang mit der Finanzkrise nun erneut Leid erfahren durch die sogenannte Flüchtlingskrise. Die Diskussion, inwiefern es eine Identität der alten mit den neuen Griechen gebe, bezeichnete Prof. Weeber als völlig fruchtlos: Allein entscheidend sei, dass sich die heutigen Griechen selbst als Nachfolger fühlten. Ihnen dies abzusprechen sei eine große Respektlosigkeit.
Bei der unbedingt nötigen Eingrenzung der Gebiete, auf denen wir Hellas Dank schulden, beschränkte sich Prof. Weeber auf die Gebiete der Philosophie, der Politik, der Medizin und der Mythologie. Die Zuhörer wurden eingangs daran erinnert, dass die Philosophie durch das Fragen der Griechen begründet wurde: Sie sahen genau hin, sie versuchten sich einen Reim auf die Dinge zu machen und sie wollten SEHEN. Sie rissen den Schleier des Nichtwissens weg, um zur ἀλήθεια, zur Wahrheit, zu kommen, zum dem, was ἀ-λαθῆς, un-verborgen, ist. In unserer heutigen Gesellschaft stehe vielfach das WAS im Vordergrund. Dabei heiße eine Sache wissen doch zu wissen, WARUM sie sei, und nicht, DASS sie ist. Dies erkannten die Griechen schon vor langer Zeit. Dabei seien sie gelehrige Schüler der altorientalischen Kulturen gewesen und hätten sich deren Errungenschaften für Europa nutzbar gemacht.
Ein Aspekt, bei dem die heutigen Griechen Nachholbedarf hätten, sei allerdings der Aspekt des bürgerlichen Engagements. Hatten die antiken Griechen ganz selbstverständlich vorausgesetzt, dass die Dinge der Allgemeinheit auch die eigenen Dinge seien, so werde im 21. Jahrhundert der Staat eher als anonyme, entpersonalisierte Instanz wahrgenommen. Das müsse sich von Grund auf ändern, wenn Griechenland dauerhaft aus der Krise finden wolle. Prof. Weeber illustrierte seine Thesen mit Originalzitaten aus dem Epitaphios des Perikles von Thukydides oder mit Passagen von Plutarch und Plinius, die wieder einmal zeigten, wie die Antike Richtschnur für zeitgenössisches Denken und Handeln sein kann.
Einen amüsanten Bezug stellte der Altertumswissenschaftler dabei her zwischen den explodierenden Baukosten für die Elbphilharmonie und den Beschwerden der Athener Volksversammlung über die kostenintensiven Bauvorhaben des Perikles. Und schloss mit dem Fazit: „Die Investition hat sich gelohnt.“ Schließlich schauten wir auch heute noch bewundernd bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf den Parthenon-Tempel, keine Griechenlandnachricht komme ohne diese Bilder von der Akropolis aus.
Zum Schluss galt sein Dank den Römern. Obwohl sie echte Imperialisten gewesen seien, haben sie das Fremde nicht einfach „plattgemacht“, sondern sich angeeignet und zunutze gemacht. Dadurch konnte die antike griechische Kultur ihre Spuren hinterlassen, die bis in unsere heutige Zeit fortwirken. Bleibt den dankbaren Zuhörern nur noch eines zu sagen: ευχαριστώ πολύ – wir danken nicht nur Hellas, auch den Römern und Prof. Weeber!
Foto: Hinrich Franck