Zwei Gladiatoren haben gekämpft, einer liegt besiegt im Sand, der andere blickt fragend ins Publikum: Reckt die Masse den Daumen hoch? Oder runter? Berühmte Historienbilder wie „Pollice verso“ oder Filme wie „Gladiator“ haben dafür gesorgt, dass wir heute so sicher zu wissen glauben, mit welchen Gesten die Menschen in der Antike das Ende eines Zweikampfs besiegelten. Aber die Wahrheit scheint anders zu sein, wie Dr. Manuel Flecker, Kustos der Antikensammlung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, bei seinem Vortrag „Munera gladiatoria“ am 24. Januar im Forum Johanneum anschaulich belegte. Der Archäologe ließ die Steine sprechen – und zwar eine winzige antike Gemme ebenso wie einen Fries an einem imposanten römischen Grabmal im italienischen Chieti. Auf beiden zeitgenössischen Darstellungen lässt sich kein Beweis für den hochgereckten Daumen zur Begnadigung finden, eher sehen die Hände der dargestellten Figuren kugelfömig aus. Für Flecker ein Indiz dafür, dass die Begnadigungsgeste eher ein in der Handfläche verborgener oder auf die geballte Faust aufgelegter Daumen gewesen sein muss, so wie unser heutiges Daumendrücken, wenn wir jemandem Glück wünschen. Mit vielen weiteren detailreichen Zeugnissen eröffnete Flecker dem Publikum in der Bibliotheca Johannei die antike Welt der Gladiatur.
Wie kommt es eigentlich, dass wir bis heute eine solche Faszination für die exzessive Schau der Gewalt empfinden, die die Gladiatorenkämpfe bei kühlerer Betrachtung ja sind? Für ein streng ritualisiertes Spektakel, das im 4. Jh. v. Chr. urplötzlich in Rom auftauchte und dort schnell gigantische Erfolge feierte? Vielleicht liegt es daran, dass wir die Gladiatur als einen Schlüssel zur römischen Kultur allgemein verstehen können, so Flecker. Sie war ein schichtübergreifendendes Phänomen, über Jahrhunderte hinweg populär, im gesamten Imperium verbreitet und in der antiken Literatur finden sich – anders als etwa zum Thema Theater – kaum kritische Stimmen zum Gladiatorenkampf.
Grundsätzlich waren die spectacula Geschenke einer Person, oft eines Kaisers, an die Gemeinschaft, eben „munera gladiatoria“. Daher nimmt es nicht wunder, dass in den Bildzeugnissen der Antike der Spielgeber meist im Mittelpunkt dargestellt wird, vor allem im Moment der Entscheidung am Ende des Zweikampfs. So auch im Fall des Grabmals des Lusius Storax in Chieti, mit dem sich Dr. Flecker in seinem Forschungsvorhaben beschäftigte.
Die Inszenierung römischer Werte, der Kampf der Gesellschaft gegen das Wilde, die Darstellung römischer Größe, das sind die Elemente, die sich auch überall auf dem Fries des Grabmals finden. Flecker ging nah heran mit der Kamera, nahm Figurengruppen heraus aus dem dargestellten Menschengetümmel und zeigte die Elemente des Kampfes: den eques mit dem Aufgabegestus, nämlich einem hochgereckten Arm, einen Schreiber, der vermutlich wie ein heutiger Sportkommentator die Ergebnisse notiert, die exotischen wilden Tiere der Tierhetzen, die dem Gladiatorenkampf oft vorangehen.
Bei der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass das Thema noch heute fasziniert, denn auch nach 60 Minuten prallen Vortrags hatten die Zuhörer noch jede Menge Fragen. Lebten die Gladiatoren in den Gladiatorenschulen wie im Kloster? Wie viele kamen wirklich um, wie viele wurden begnadigt? Was bewegte Männer dazu, freiwillig Gladiatoren werden zu wollen, obwohl damit der Verlust der römischen Bürgerrechte einherging? Dr. Flecker stand Rede und Antwort und gab uns, wie Schulleiterin Inken Hose so treffend formulierte, mit seinem Vortrag selbst ein spectaculum als Geschenk. Eben ganz wie ein antiker Spielgeber!