• S4 stellt sensible Sprache auf den Prüfstand

Gendersensible Sprache – kaum ein Thema erregt die Gemüter mehr im öffentlichen (und oft genug auch im privaten) Diskurs als dieses. Empörung über die, die weiterhin sprechen und schreiben wie bisher und mit dem generischen Maskulinum alle Gruppen ausreichend mit einbezogen sehen, steht gegen Entrüstung über diejenigen, die der deutschen Sprache Sternchen oder Doppelpunkte mitten ins Wort setzen und der menschlichen Vielfalt auch sprachlich gerecht werden wollen. Keine schlechte Idee also, in diese hitzige Debatte etwas Ruhe hineinzubringen. Genau das hatte sich eine Gruppe von sieben Schülern und Schülerinnen (oder Schüler*innen?) aus dem S4 auf die Fahnen geschrieben und am 1. Juni 2023 zu einem Diskussionsabend im Forum Johanneum eingeladen. Sie hatten im Deutschkurs bei Frau Kropp das Thema Sprache – Denken –Wirklichkeit bearbeitet und dabei für den Bereich gendersensible Sprache so viel Feuer gefangen, dass sie sich aus freien Stücken weiter damit beschäftigten. Das war ein großes Glück für uns alle, denn der Vortrag mit anschließender Podiumsdiskussion und reger Zuhöreraktivität war ein großartiger, intensiver Abend.

Mit zwei Präsentationen – beide sachlich extrem fundiert, beide hinreichend komplex und dabei gleichzeitig sehr verständlich – begann der Abend, um allen ein annähernd gleiches Fundament für die Debatte zu geben. Zunächst stellte Emilia P. das Konzept der linguistischen Relativität vor und ging der Frage nach, inwieweit Sprache unser Denken beeinflusst. Die Sapir-Whorf-Hypothese als berühmtestes Beispiel für die linguistische Relativität kontrastierte sie mit der Gegenposition von Steven Pinker, der den Menschen eine von der eigenen Sprache unabhängige Universalgrammatik zuspricht, sowie mit der neueren Forschung von Lera Boroditsky. Deren Untersuchungen deuten darauf hin, dass bestimmte Aspekte der Sprache durchaus unser Denken beeinflussen. Boroditsky forderte beispielsweise deutsche und spanische Muttersprachler dazu auf, Wörtern, die in ihrer Sprache jeweils ein gegensätzliches Genus haben (das Femininum die Brücke bzw. das Maskulinum el puente), Attribute zuzuschreiben – mit dem Ergebnis, dass Deutsche dem Bauwerk eher feminin konnotierte Adjektive wie grazil oder schön zuschrieben, während Spanier ihm eher maskulin wie stark und zuverlässig zuordneten.
Carla S. richtete im zweiten Vortrag den Fokus auf Unterschiede zwischen Sexus, Genus und Gender und zeigte zunächst anschaulich auf, wie Begriffe für Personen durch die Zuschreibung zu einem Genus Auf- und Abstiege erleben. So wird aus dem Neutrum das Mädchen in dem Moment, in dem sie im heiratsfähigen Alter ist, das Femininum die Frau, während der Junge diesen Aufstieg nicht braucht, er bleibt auf der gleichen sozialen Stufe und wird irgendwann einfach der Mann. Andersherum ist auch ein Abstieg denkbar, ein Mann, der als nicht männlich genug gilt, wird als die Memme zum Femininum. Und die Frau, von der man nicht allzu viel hält, wird das Luder oder das It-Girl genannt, also ein Neutrum.
Was schwingt also möglicherweise mit, wenn ich Personengruppen anspreche, ob in herkömmlicher oder gegenderter Form? „Egal, ob ich nun das traditionelle Register (generisches Maskulinum), das feministische Register (das Binnen-I), das nicht-binäre Register (mit * Sternchen) oder das moderate Gendern (die Beidnennung von maskulinen und femininen Formen wie in Schüler und Schülerinnen) benutze: Ich setze es bewusst ein und treffe eine Entscheidung“, so formulierte es Carla. Das Problem dabei: Es gibt keine Steuerungsinstanz, keine Sprachakademie oder Regierung, die eine der Formen vorschreibt. Jede und jeder oder auch jede*r muss selbst entscheiden, wie er oder sie damit umgeht. Zusätzlich ist die gesamte Diskussion eher im akademischen Milieu verortet, was es schwierig macht, alle Mitglieder einer Sprechergemeinschaft mit ins Boot zu holen.
Nach diesen beiden linguistisch basierten Impulsvorträgen ging es dann in eine Debatte mit sechs Schülern und Schülerinnen aus der Arbeitsgruppe, in der der (fiktiven) Frage nachgegangen wurde: „Sollte im Grundgesetz ab dem Jahr 2026 die gegenderte Form für Personen mitverwendet werden?“Auf der Bühne ging es mit Eifer, aber dennoch sachlich hin und her, es zeigte sich, dass die Beschäftigung mit dem Thema im Deutschunterricht und darüber hinaus keineswegs zu einer einheitlichen Meinung geführt hatte. Alle Debattenteilnehmer einte der Wunsch nach einer diskriminierungsfreien Gesellschaft und mit einer ebensolchen Sprache. Nur die Wege dorthin waren unterschiedlich.
Auf der Pro-Seite wurde betont, dass man dadurch ein besseres Mindset in der Gesellschaft schaffen könne, weil ja nur das Geschlecht grammatikalisch markiert werde (nicht aber Hautfarbe, Religionszugehörigkeit etc.), die Änderungen im Gesetzestext also überschaubar seien und dennoch mit der Hoffnung verbunden, auf diesem Wege auch für andere Gruppen mehr Gerechtigkeit zu erreichen. Schließlich wolle ja niemand den Menschen vorschreiben, wie sie im privaten Bereich zu sprechen und zu schreiben hätten. Auf der Contra-Seite wünschte man sich hingegen – sehr verknappt gesagt –, das generische Maskulinum wieder so attraktiv zu machen, dass sich damit alle Bevölkerungsgruppen angesprochen fühlen. Die Kompliziertheit der gegenderten Formen, der Lesewiderstand, der durch sie ausgelöst wird, das Problem der Verortung im akademischen Milieu: All das werde damit wieder entfallen.
Am Ende der Debatte formulierten die Schülerinnen und Schüler ihr Fazit so, und zwar gemeinsam: Sprache und ihre Verwendung ist immer eine bewusste Entscheidung. Sprache hat Einfluss darauf, wie wir die Welt wahrnehmen und gestalten. Man muss sich dies klar machen und dann den eigenen Weg finden, wie man sich ausdrücken will – und dazu hat dieser Abend einen spannenden, informativen Beitrag geleistet, der für viel Redestoff sorgte. So viel sogar, dass die rege Diskussion mit dem Publikum, die sich anschloss, irgendwann radikal beendet werden musste, damit alle noch zu einer angemessenen Zeit wieder heil nachhause kamen. Ein besseres Kompliment kann es wohl kaum geben!

Gender-Debatte
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