v.l. Tutorin Bettina Fensch, Helena Koch, Dr. Thomas Paulsen
v.l. Tutorin Bettina Fensch, Helena Koch, Dr. Thomas Paulsen

Helena Koch aus dem S IV hat für ihren Beitrag „Niemals verzweifeln?! Das Riegner-Telegramm“ einen Landespreis im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten erhalten. Kaja Barche (SII) bekam für ihren Beitrag „Die Konversion der Margarethe Windmüller“ ebenso einen Förderpreis wie Paul Pannwitt (SIV) für seine Arbeit „Wilhelm Fresenius, evangelischer Pfarrer und Mitglied der ´Bekennenden Kirche´, im ´Kirchenkampf´ zur Zeit des Nationalsozialismus – Hat sich der Widerstand meines Urgroßvaters bei seinen Nachkommen fortgesetzt?“

Die Auszeichnungen überreichten Schulsenator Ties Rabe und Dr. Thomas Paulsen, Vorstand der Körber-Stiftung.

Wir gratulieren herzlich zu diesem Erfolg!

Hier erklären die Preisträgerinnen und der Preisträger, womit sie sich in ihren Arbeiten befasst haben:

Helena Koch: „Niemals verzweifeln?! Das Riegner-Telegramm“

„Ein von jüdischen Ängsten inspiriertes Gerücht.“ So lauteten die meisten Reaktionen auf das Telegramm, das am 8. August 1942 - vor fast genau 75 Jahren - die englische und die US-amerikanische Regierung erreichte und diese über die geplante nationalsozialistische „Endlösung“ informieren sollte.
Absender war mein Verwandter Gerhart M. Riegner, damaliger Repräsentant des Jüdischen Weltkongresses in Genf. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung wurden seine Berichte über die Pläne Hitlers jedoch als nicht vertrauenswürdig, als „Phantasieprodukt“ bezeichnet und ihre Veröffentlichung erschreckend lange verzögert. Trotz vieler Rückschläge aber gab Riegner nicht auf: Er kämpfte unaufhörlich um die Aufmerksamkeit derjenigen, die die Augen vor den unmenschlichen Taten der Nationalsozialisten verschlossen. Auch nach dem Krieg setzte er sich noch jahrzehntelang, bis zu seinem Tod im Jahre 2001, für Religionsfreiheit und Menschenrechte ein, wofür ihm unter anderem der Franklin D. Roosevelt Four Freedoms Award verliehen worden ist.
In Form eines Drehbuchs habe ich Dialoge rund um das „Riegner-Telegramm“ von 1942 entworfen, wie sie damals tatsächlich stattgefunden haben könnten. Besonders wichtig war es mir dabei, die paradoxe Wirkung von Religionszugehörigkeit als Bestärkung und Erschwerung von Lebenswegen herauszustellen. Es sollte deutlich werden, mit welcher Kraft Riegners Nachrichten verdrängt worden sind und wie viel Kraft es ihn im Gegenzug gekostet hat, die Hoffnung nicht aufzugeben und niemals zu verzweifeln.

Kaja Barche: „Die Konversion der Margarethe Windmüller“

In meiner Arbeit, die ich beim Wettbewerb eingereicht habe, geht es um die Konversion Margarethe Windmüllers vom Judentum zum Protestantismus. Margarethe Windmüller war meine Nachbarin in einer anderen Zeit. Ein sogenannter „Stolperstein“ erinnert zwei Eingänge entfernt von unserer Wohnung an ihre Ermordung durch die Nationalsozialisten und weckte meinen Wunsch mehr über sie herauszufinden. Bei meinen Recherchen habe ich Heirats-, Geburts- und Sterberegister durchgeschaut und auf eine ganz neue Art geforscht. Ich habe eine Jüdin viel besser kennengelernt und das als Mensch und nicht nur als Opfer des Nationalsozialismus. Durch die Arbeit und die nähere Auseinandersetzung mit Religion habe ich zum ersten Mal erkannt, welch eine große Bedeutung der Glauben auf den einzelnen und auf die Gesellschaft haben kann und auch hat. Die Teilnahme am Wettbewerb war zwar viel Arbeit, aber auch eine ganz tolle Erfahrung!

Paul Pannwitt: Wilhelm Fresenius, evangelischer Pfarrer und Mitglied der ›Bekennenden Kirche‹ im ›Kirchenkampf‹ zur Zeit des Nationalsozialismus. Hat sich der Widerstand meines Großvaters bei seinen Nachkommen fortgesetzt?

In meiner kleinen historisch-politischen Familiengeschichte habe ich mich kritisch mit der Rolle der „Bekennenden Kirche“ zur Zeit des Nationalsozialismus und nach dem 2. Weltkrieg befasst. Mein liberal-konservativer, in der Kaiserzeit aufgewachsener Urgroßvater Wilhelm Fresenius hat als evangelischer Pfarrer aus einer christlich-humanistischen Weltanschauung heraus Widerstand gegen die nationalsozialistische Gleichschaltung geleistet und war Verfolgungen durch Gestapo und Staat ausgesetzt. Nach dem 2. Weltkrieg kämpfte er zusammen mit seinem Bruder im Geiste Martin Niemöller gegen Wiederaufrüstung und atomare Bewaffnung, lehnte die Wehrpflicht ab und setzte sich für voraussetzungslose Kriegsdienstverweigerung ein.

Die Nachkommen von Wilhelm Fresenius - die meine Vorfahren sind - haben die Linie seines Widerstands gegen ungerechte herrschende Verhältnisse fortgeführt, wenn auch in unterschiedlicher Form und aus unterschiedlichen Motiven.

Otto Fresenius, Architekt, Sohn von Wilhelm und mein Großonkel, hat die AG Westend in Frankfurt am Main gegründet, die als wohl erste Bürgerinitiative gegen Gentrifizierung, gegen die Zerstörung des Westends kämpfte. Obzwar von christlicher Gesinnung, markierte Otto den Übergang zu einem politisch bürgerlich-linksliberal motivierten Widerstand.

Uwe Vetter, Enkel von Wilhelm und mein Onkel, ausgebildeter Pädagoge und promovierter Mediziner, wurde politisch sozialisiert Ende der 60er Jahre in den „Bremer Straßenbahnunruhen“, auch als „Großer Schüleraufstand“ bezeichnet. Er engagierte sich sehr früh in einer sozialistischen Schülerorganisation. Sein Widerstand war ausschließlich politisch motiviert aus einer links-marxistischen Haltung heraus.

Dasselbe gilt für meinen Vater Bernd Vetter, ebenfalls Enkel von Wilhelm. Er kämpfte und kämpft gegen ungerechte herrschende Verhältnisse als Personalratsvorsitzender, als Verfasser von Mietrechtsratgebern, als Gründer eines alternativen Mietervereins, als wesentlicher Teil des politischen Wohn- und Lebensprojekts Haynstraße („Das besetzte Haus in Eppendorf“), als Funktionsträger und Abgeordneter der GAL in den 1980er Jahren und nicht zuletzt als Mieteranwalt und Rechtsanwalt der „kleinen Leute“.

Bei allen meinen Vorfahren ist eine Linie des sozialen Gewissens und ein konsequentes Handeln nach ihren Überzeugungen zu erkennen.